03.09.2021

Die dezentrale Energiewende neu denken

Die Potenziale einer Vor-Ort-Versorgung aus erneuerbaren Energien sind riesig, sie werden aber kaum genutzt. Wie sich das ändern lässt, ist Gegenstand eines Autorenpapiers von NATURSTROM-Vorstand Dr. Tim Meyer, Prof. Dr. Hans-Martin Henning vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und Fabian Zuber von der Reiner Lemoine Stiftung.

Grundgedanke des Papiers ist es, lokal agierenden Akteuren bei der Energiewende deutlich mehr Gestaltungsspielraum zu überlassen und ihnen in der Bewirtschaftung von zum Beispiel Quartieren oder Gebäuden als Teil unseres Energiesystems mehr Verantwortung zu übertragen. Mit dieser neuen Freiheit erhält die Transformation im Gebäudesektor, insbesondere in Geschosswohnbauten und Gewerbeimmobilien, den dringend nötigen Schwung.

Das heißt konkret, in Gebäudekomplexen, Quartieren und anderen kleinräumigen Einheiten Strom, Wärme und Mobilität vor Ort wo immer möglich zu koppeln und die jeweiligen lokalen Potenziale der Erzeugung und des Verbrauchs zu optimieren. „Die technischen Lösungen für eine wirklich dezentrale und sektorenübergreifende Energiewende sind längst vorhanden, aber die flächendeckende Umsetzung wird ausgebremst“, attestiert Mitautor und NATURSTROM-Vorstand Dr. Tim Meyer. „Wenn die Akteure vor Ort klare Gestaltungspielräume haben und nicht mehr bis ins Kleinste mit widersprüchlichen Regularien drangsaliert werden, kommen die Projektideen wie von selbst. Die nötige Dynamik, die wir für eine dezentrale Energiewende gerade in den städtischen Räumen brauchen, lässt sich nicht von oben verordnen – die kommt von unten, von Unternehmen, Projektentwicklern, Planern und Nutzerinnen und Nutzern vor Ort!“

Um die riesigen vorhandenen Potenziale heben zu können, müssen die energiewirtschaftlichen Anforderungen in Vor-Ort-Systemen deutlich reduziert und somit die Logik der Regulierung vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Derzeit wird jede einzelne Komponente eines dezentralen Energieversorgungssystems separat und über eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen reguliert. Die rechtliche Komplexität bei der Kopplung verschiedenster Komponenten wie Wärmepumpen, Photovoltaik- und KWK-Anlagen, Speichern, Wallboxen etc. ist in Verbindung mit umfangreichen baulichen Auflagen und Standards für Planer und Investoren kaum noch beherrschbar.

 

Die Autoren plädieren daher für eine systemorientierte Regulierungslogik, die klare Regeln schafft und die Verantwortung an den Schnittstellen zwischen den Vor-Ort-Systemen und den öffentlichen Versorgungsnetzen definiert. Nicht mehr das „WIE“ eines Vor-Ort-Systems wird reguliert, sondern nur noch das „WAS“ im Sinne von Zielvorgaben und klaren Leitplanken – beispielsweise über die Vorgabe von maximalen CO2-Emissionen oder Primärenergiefaktoren, Transparenz- und Verbraucherschutzstandards. Auf welchem Weg diese Vorgaben an das Vor-Ort-System erreicht werden, wie also seine Innenwelt organisiert ist, bleibt im Wesentlichen den Handelnden vor Ort überlassen: das Subsidiaritätsprinzip, angewandt aufs Energiesystem.

Um diesen Paradigmenwechsel umzusetzen, braucht es ein klares politisches Bekenntnis und daraus folgend zügige Reformen auf mehreren Ebenen der Energiegesetzgebung und -regulierung. Die Autoren zeigen Handlungsoptionen für die Bundespolitik auf, wie sich die Dynamik einer sektorengekoppelten Vor-Ort-Versorgung als Bestandteil eines neuen Energiesystems im Laufe der kommenden Legislaturperiode entfesseln lässt.

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