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Bürgerenergie: Wind- und Wasserkraft

Fast 10 Jahre vor der Gründung von naturstrom erblickt die Betreibergemeinschaft Umschalten Windstrom Wedel (UWW) im Jahr 1989 in Hamburg-Altona das Licht der Welt. Umweltfreundliche Kraftwerke in Hamburg und dem Umland errichten und diese selbst betreiben – so lautet die Zielsetzung. Ein visionäres Vorhaben, das den Anfang der Bürgerenergie in Deutschland markiert.

Die Kunst des ersten Schrittes

Rolf Triebel steht mitten auf einer Wiese in Hamburg Fuhlsbüttel, zeigt auf eine Luke im Boden und holt einen großen Schlüssel hervor. Nebenan rauscht die Alster über ein Wehr, Leute schlendern im Grüngürtel am Wasser entlang – ganz offensichtlich ein Ort der Erholung. Die Metallluke schwingt nach oben und es kommt eine Treppe zum Vorschein, die in die Tiefe führt. Triebel geht voran, steigt hinab und öffnet die nächste Tür. Dahinter offenbart sich ein Kellerraum, aus der Wärme und ein Dröhnen hervordringt. Hier brodelt es gewaltig. Denn in diesem Maschinenraum rotiert seit fast 20 Jahren eine im Untergrund verborgene Wasserkraft-Turbine und produziert dabei rund um die Uhr Strom für etwa 200 Haushalte.

„Sie sehen hier das einzige Wasserkraftwerk Hamburgs“ ruft Triebel und versucht den Geräuschpegel zu übertönen. Ganz unverkennlich schwingt Stolz in der Stimme mit – denn ohne Triebel gäbe es die Anlage nicht. Die Idee für das Kraftwerk stammt ursprünglich von der Stadt Hamburg. Nach ausführlicher Planung sortiert der Hamburger Rechnungshof das Projekt Ende der 1990er-Jahre jedoch wieder aus. In der Schublade schon fast verschwunden, wird Triebel und die Betreibergemeinschaft UWW auf die Sache aufmerksam, ergreift die Gelegenheit beim Schopfe und wagt sich an die Umsetzung.

Ein Glücksfall, den die Behörden entsprechend honorieren. „Die Reaktion auf unseren Plan, das Wasserkraftwerk doch zu realisieren, war sehr positiv“ erzählt Triebel. „Die fanden das gut“. Und so kann man die Vorarbeit der Umweltbehörde nutzen und die Planung und Genehmigung der Anlage innerhalb eines Jahres abschließen. „Eine Fabelzeit“, wie Triebel grinsend hinzufügt. Im Jahr 2000 ist es dann so weit. Nach einjährigem Bau wird das bis heute einzige Wasserkraftwerk der Hansestadt an der Fuhlsbütteler Schleuse in Betrieb genommen. Dort weist die Alster einen Höhenunterschied von vier Metern auf – für Hamburger Verhältnisse eine schwindelerregende Höhe und daher der ideale Standort.

Visionäre und Macher

„Pro Sekunde strömen maximal 3,6 Kubikmeter Wasser durch die Kaplan-Turbine, etwa die Menge von 30 gefüllten Badewannen. Daraus lassen sich 110 Kilowatt elektrische Leistung generieren. Aufs Jahr gerechnet sind das etwa 550.000 Kilowattstunden, genug Strom für 200 Haushalte“, erklärt Triebel, der eigentlich pensionierter Mediziner ist. Daneben ist er aber auch Gründungsmitglied der privaten Betreibergemeinschaft des Wasserkraftwerks, Umschalten Windstrom Wedel GmbH & Co. KG (UWW) – und hat damit Geschichte geschrieben. Denn die UWW gilt als erste Bürgerenergiegesellschaft Deutschlands überhaupt. Ende der 1980er-Jahre gegründet, lebt dieses Kollektiv von Visionär:innen und Macher:innen aus Hamburg und Umgebung bereits eine klare Vision der nachhaltigen Stromerzeugung, als sich das EEG noch nicht einmal als fragiles Wölkchen am Horizont abzeichnet.

Entstanden ist die UWW aus der Anti-AKW-Bewegung und dem Wunsch dem Protest gegen die Atomenergie konstruktiv Ausdruck zu verleihen. Insbesondere der Bau des AKW Brokdorf stellt damals den Brennpunkt dar, an dem die Interessen der Atombranche, die Proteste der Bevölkerung und die militarisierte polizeiliche Gegenreaktion zusammentreffen. Großdemonstrationen von nie da gewesenem Ausmaß mit bis zu 100.000 Menschen spiegeln die breite gesellschaftliche Gegnerschaft wider, können am Ende jedoch trotzdem nichts bewirken. Selbst nachdem im April 1986 der Reaktor in Tschernobyl explodiert und der Super-Gau andernorts tatsächlich eintritt, geht das AKW Brokdorf im Oktober desselben Jahres direkt vor den Toren der Hansestadt in Betrieb.

Konstruktiver Protest

Für Triebel, der sich bei den Demonstrationen als Mediziner zusätzlich um Verletzte kümmert, ist das eine Verhöhnung der gesamten Widerstandsbewegung und der Impuls die Protestform zu ändern. „Bei uns wuchs der Wille nicht nur politisch gegen die Atomenergie zu streiten, sondern etwas in Richtung der regenerativen Energien zu machen“, erinnert er sich. „Wir wollten das ganze Thema konstruktiv auf den Kopf stellen und am praktischen Beispiel zeigen, dass Aussagen wie „ohne Atomenergie gehen die Lichter aus“ nichts als Zweckpropaganda waren“.

So formiert sich nach Tschernobyl anfangs eine kleine Gruppe von etwa 20 Personen, die an eigenen Kleinwindanlagen tüftelt, sich von der schon damals vitalen dänischen Windszene inspirieren lässt und schließlich einen Verein namens „umschalten e.V. der Selbsterzeuger von umweltfreundlichem Strom“ gründet, dem Vorläufer der heutigen UWW. Das erste Projekt lässt nicht lange auf sich warten. Im November 1989 geht die erste Windkraftanlage in Betrieb, aus heutiger Sicht eine kuriose zweiflügelige Anlage mit 75 Kilowatt Leistung. Installiert wird sie passenderweise in direkter Sichtweite zum AKW Brokdorf auf dem Hof des Landwirtehepaars Reimers, ebenfalls Beteiligte in der UWW. Wo zuvor tausende Menschen demonstriert hatten, dreht sich ab dato also ein Windrad und sendet eine unmissverständliche energiepolitische Botschaft in die Bundesrepublik. Für Triebel und alle Mitstreiter:innen eine Genugtuung, nachdem ihr Protest und mehrere Klagen vor Gericht nichts hatten bewirken können.

Entscheidend ist der erste Schritt

Der erste Schritt ist getan, man organisiert sich und hat bereits seit längerem Räumlichkeiten im Werkhof in Hamburg-Altona bezogen, einem Ort der ebenfalls Geschichte schreibt. Denn auf dem ehemaligen Gelände der Seifen-Fabrik Dralle, dessen Werkhallen und Büros seit 1976 leer stehen und damals – wie es die ZEIT 1983 formuliert – mehr „den Eindruck einer Trümmerlandschaft von entmutigender Traurigkeit“ macht, entwickelt sich in den 1980er-Jahren das Epizentrum der alternativen Szene Hamburgs. Zunächst noch in Form einer Hausbesetzung siedeln sich dort Handwerkskollektive, politische Initiativen, Redaktionen sowie Menschenrechts, Friedens- und Umweltorganisationen an – darunter auch die Werkstatt 3, ein Veranstaltungs- und Bildungszentrum, das als eine der bedeutendsten interkulturellen Begegnungsstätten im norddeutschen Raum gilt.

Ein guter Ort also für die Vordenker:innen der UWW, ihre Vision, eigene umweltfreundliche Kraftwerke zu bauen, Realität werden zu lassen. Und tatsächlich folgen bis 1992 drei weitere Windkraftanlagen in Wedel, Schashagen und Drochtersen. Die größte Anlage hat eine Nennleistung von 225 Kilowatt. 1993 kommt außerdem ein BHKW dazu, das den Werkhof in Hamburg-Altona und damit die eigenen Büroräume mit Strom und Wärme versorgt. Wobei das nur die realisierten Projekte sind. Triebel und seine Mitstreiter:innen haben noch viel mehr Ideen. Den Mittellandkanal wollte man anzapfen und dessen Wasserkraft nutzen, schließlich gebe es dort Gefällestufen von etwa 20 Metern, erinnert sich Triebel. Ein lang gehegter Traum sei außerdem die Umzingelung des AKW Brokdorf mit Windkraftanlagen gewesen. „Eine fantastische Idee“, schmunzelt er. Geklappt habe es leider nicht. „Wir sind eben keine Profis, wohl eher so eine Art Feierabendverein – aber mit Expertise“.

Auf Wind folgt Wasser

Im Jahr 2000 dann der nächste Schritt der UWW – das Wasserkraftwerk im Hamburger Norden. Dort in Fuhlsbüttel, einem Stadtteil, der vom Lauf der Alster bestimmt wird, gibt es bereits eine lange Tradition in der Wasserkraftnutzung. Seit dem 15. Jahrhundert ist die Existenz von Wassermühlen urkundlich belegt. Im Jahr 1914 wird dann eine Schleusenanlage errichtet. Bereits damals ist eine Wasserturbine zur Stromerzeugung vorgesehen, die jedoch aus unbekannten Gründen nicht zur Ausführung kommt. Die Schleuse dient dazu, den Alsterlauf vor Binnenhochwasser zu schützen und bildet die letzte Wehrstufe, bevor der Fluss in die Außenalster mündet. Resultat ist ein Höhenunterschied von für Hamburger Verhältnisse stolzen vier Metern, den die UWW nutzen will.

Damit die Wasserkraftanlage in Fuhlsbüttel überhaupt gebaut werden kann, müssen Baukosten in Höhe von 1,8 Millionen Markt aufgebracht werden. Dafür sammelt die UWW Ende der 1990er-Jahre Geld von den Beteiligten der Betreibergemeinschaft ein, erhält einen Zuschuss von der Hamburger Umweltbehörde und nimmt außerdem erstmals einen Kredit bei der GLS Bank auf. Dennoch steht das Projekt auf dünnem Eis. Die letzte Sicherheit liefert dann die naturstrom AG, die von dem Konzept des Wasserkraftwerks und auch der UWW überzeugt ist, sich hinter die Betreibergemeinschaft stellt und eine Förderzusage für 10 Jahre über 3,5 Pfennig je eingespeister Kilowattstunde gibt. Dies sichert die Wirtschaftlichkeit und ermöglichte damit die Umsetzung des Projektes.

Bei der Planung der Anlage legt die UWW Wert darauf, Natur- und Umweltschutz in Einklang zu bringen. „Uns war besonders wichtig, dass trotz der Nutzung der Wasserkraft an dieser Stelle das ökologische Gefüge der Alster unberührt bleibt“, betont Triebel, verlässt den Maschinenraum und steigt die Treppe hoch in Richtung Luke und Tageslicht. Oben angekommen ist von dem Dröhnen des Generators nichts mehr zu hören. „Die Turbine arbeitet für Passanten unsichtbar und völlig lautlos unter der Erde. So kann das Gelände um die Schleuse herum weiterhin von Menschen zur Erholung genutzt werden“, sagt Triebel zufrieden. Einzig eine Infotafel informiert Passant:innen darüber, was unter ihren Füßen passiert.

Einige Meter weiter ist der Einlaufkanal zu sehen, eine Art Fluss-Bypass, welcher einen Teil des Wassers der Alster abzweigt und in die Turbine leitet. Damit dabei die Lebewesen im Fluss nicht zu Schaden kommen, hat man ein sogenanntes Fisch-Fluchtrohr installiert, mit dessen Hilfe die Tiere unbeschadet und ohne große Mühe an der Turbine vorbeischwimmen können. Ein vollautomatisierter Rechen sorgt außerdem dafür, dass Äste, Blätter und sonstiges Treibgut den Zulauf zur Turbine nicht verstopfen. Triebel öffnet einen Schaltschrank und drückt auf den Knopf. Ein Summen ertönt – eine Art Besen setzt sich in Bewegung und transportiert das angesammelte Geschwemmsel hydraulisch am Rechen nach oben und befördert es in einen Container. „Technik, die funktioniert“. Der Rechen ist sogar videoüberwacht und kann auch aus der Ferne bedient werden. Ebenso sind alle wichtigen Betriebsparameter der Anlage online abrufbar. „Das hat sich bewährt. Wir haben kaum Stillstandzeiten und nur alle zwei bis drei Tage schauen wir hier routinemäßig mal nach dem Rechten“, erklärt Triebel.

Vorreiter der Bürgerenergie

Rückblickend hat die UWW in all den Jahren viel erreicht. An der Vision einer nachhaltigen Energieversorgung festhalten, Widerstände überwinden, Neuland betreten und damit zum Vorbild werden – genau das ist Rolf Triebel und der UWW gelungen. In den 1990er-Jahren wollen Menschen im ganzen Land erfahren, wie diese Sache mit den Öko-Kraftwerken eigentlich funktioniert. Und so gibt die UWW ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter – unterstützt bei der Gründung von anderen Betreibergemeinschaften, hält bundesweit unzählige Vorträge, organisiert Busfahrten durch Schleswig-Holstein zu den bereits realisierten Anlagen und trägt damit die Vision und das Prinzip der von Bürger:innen getragenen dezentralen Energieversorgung ins ganze Land.

„Schon damals war ich davon überzeugt, dass die Energiewende möglich ist und man die Erzeugung komplett umkrempeln kann“ erinnert sich Triebel. Heute, knapp 30 Jahre nach Gründung der UWW wird in Deutschland etwa ein Drittel des verbrauchten Stroms durch Erneuerbare Energien gedeckt, es gibt mehr als 1.700Bürgerenergiegesellschaften und etwa 40% aller EE-Anlagen liegen im Eigentum von Bürger:innen. Ein Ergebnis, auf das die UWW stolz sein kann – hat sie durch ihr Engagement und Wirken doch den ersten Schritt in dieser Entwicklung gemacht.

Was nun?

Wie es mit der Bürgerenergie in den nächsten Jahren weiter geht, muss sich jedoch erst noch zeigen. Denn vielerorts sieht man sich neuerdings mit diversen Problemen konfrontiert. Zum Einen haben es kleine Akteure mittlerweile schwer, neue Projekte zu entwickeln. Die in den vergangenen Jahren verschärften gesetzlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise die gesunkene Einspeisevergütung oder die Einführung des Ausschreibungssystems haben dazu geführt, dass der Zugang zum Energiemarkt und damit die Umsetzung neuer Bürgerenergieprojekte mehr und mehr erschwert wurde. Das spürt auch die UWW. „Letztlich haben wir in den vergangenen Jahren Bestandsverwaltung betrieben“, bestätigt Triebel diese Entwicklung. Und so ist die Wasserkraftanlage in Fühlsbüttel die jüngste Anlage der Betreibergemeinschaft.

Hinzu kommt der Trend, dass Bürgerenergiegesellschaften vermehrt Personalprobleme bekommen, sobald die altgediente Gründergeneration in den Ruhestand strebt. Oftmals stellt sich in diesen Fällen dann die Frage: Wer macht weiter? Wer soll die Dinge in Zukunft regeln? Auch hiervon ist die UWW betroffen. Erstmals im Jahr 2015 artikulieren Triebel und seine Mitstreiter:innen den Wunsch, die Führung der Betreibergemeinschaft in andere Hände legen zu wollen. Doch das stellt sich als schwierig heraus. „Bei insgesamt etwa 220 Beteiligten in der UWW kann man den Nachwuchs an einer Hand abzählen“, sagt Triebel.

Kooperation mit NATURSTROM

Die Kombination aus komplexer gewordenen Rahmenbedingungen und der fehlenden Nachfolge führt 2017 zu der Entscheidung, die Geschäftsführung der Betreibergemeinschaft abzugeben und naturstrom mit an Bord zu holen. „Die Wahl fiel uns nicht schwer“, sagt Triebel und verweist auf die seit Jahren gewachsene Verbindung zwischen der UWW und naturstrom. Dazu gehöre die Förderung, aber auch der Fakt, dass naturstrom den Strom der Anlage seit Jahren direkt abnimmt. „Mit naturstrom im Boot wünschen wir uns für die Zukunft, dass durch die Verjüngung und Professionalisierung auch wieder neue Projekte entwickelt werden können“, sagt Triebel. Diese Herausforderung nehmen wir von naturstrom gerne an.

Lesen Sie mehr dazu im Interview mit Michael Luhn und Rolf Triebel, den Gründungsmitgliedern der Betreibergemeinschaft Umschalten Windstrom Wedel.

Hier finden Sie weitere Informationen zu Bürgerenergie bei naturstrom.

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